Der Stadtverband der Frauenhilfe in Gelsenkirchen ist 100 Jahre alt. Ist Ihnen auch aufgefallen, wie viele Jubiläen in diesem Jahr begangen wurden?
2000 Jahre | Varus-Schlacht |
80 Jahre | alt wurde der Gasometer in Oberhausen |
75 Jahre | Barmer Theologische Erklärung |
60 Jahre | die Bundessrepublik Deutschland |
60 Jahre | Peter Maffay und Tchibo…. |
10 Jahre | „Wer wird Millionär“ |
100 Jahre |
Stadtverband der Frauenhilfe in Gelsenkirchen |
Der Stadtverband der Frauenhilfe in Gelsenkirchen begeht also auch ein Jubiläum, er wird 100 Jahre alt. Schauen Sie sich an, wie alles begann, aber geben Sie acht, einige geschichtliche Formulierungen - auch Begebenheiten - wirken im Abstand von nahezu 100 Jahren heute manchmal merkwürdig oder sogar amüsant!
Leider wurden durch Krieg und Feuer etliche Dokumente zerstört. Einige der ersten Unterlagen, die uns für diesen geschichtlichen Abriss zur Verfügung stehen, sind vom Anfang des 20. Jahrhunderts und - teilweise handschriftlich. Diese Protokolle waren in der alten Deutsch- oder Sütterlin-Schrift und daher schwer zu entziffern. Erinnern Sie sich an die Sütterlinschrift? So sieht sie aus:
Bild 1: Sütterlin-Schrift
1899 wurde die „Frauenhülfe des Evangelisch–Kirchlichen Hülfsvereins unter dem Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin Auguste Viktoria“ ins Leben gerufen. Das geschah mit der Absicht, „die Liebestätigkeit der evangelischen Frauen und Jungfrauen an den Gliedern der Gemeinde zu fördern.“
„Was Ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ lautete der Leitspruch der Frauenhülfe. Ebenso galt auch das Losungswort: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, welcher gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Damit sind die wesentlichen Merkmale der evangelischen Frauenhilfsarbeit fest geschrieben: die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus und die Erfüllung seines Auftrages zum Dienst der Liebe am hilfsbedürftigen Nächsten. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Von Beginn an ist die Frauenhilfe in den Kirchengemeinden verwurzelt.
Als während der Industrialisierung auch hier in Gelsenkirchen viele Menschen Arbeit suchen, entstehen große Siedlungen und Kolonien. Hier wachsen die Frauenhilfen besonders stark, denn es waren besonders die Frauen, die unter der Anonymität litten, sich fremd und heimatlos fühlten. Die Frauenhilfen boten den Frauen einen Ort, miteinander bekannt zu werden, Nöte, Erfahrungen und Freude auszutauschen und Gemeinschaft zu erleben. Kurz: eine neue Heimat zu finden.
Das Besondere an der Struktur der Frauenhilfsgruppen vor Ort war das flächendeckende Netz des Bezirksfrauen-Systems. Indem die Bezirksfrauen Besuche machten und dabei die Beiträge monatlich kassierten, konnte in enger Zusammenarbeit mit dem Pfarrer nach Möglichkeiten der Hilfe gesucht werden.
1909 schließen sich die Frauenhilfegruppen in Gelsenkirchen zum Stadtverband der Frauenhilfe zusammen und gehören damit seit 1909 zum Provinzialverband der Westfälischen Frauenhilfe in Witten/Ruhr.
In der ersten Versammlung der Delegierten der der Frauenhülfe angeschlossenen Vereine in der Synode Gelsenkirchen sollte nach Möglichkeit über ein Erholungsheim für Frauen und Mädchen gesprochen werden. Schon zu diesem Zeitpunkt erkannte man, dass eine solche Einrichtung ein wichtiges Arbeitsgebiet der Frauenhilfe sein müsste. Die erste Vorsitzende heißt laut Protokoll Frau „Gustav“ Kochs, der erste Frauenhilfs-Pfarrer heißt Otto Schumacher und kommt aus Bismarck.
In den wenigen erhaltenen Unterlagen vom Anfang steht:
„Die Zahl der dem Synodalverbande Gelsenkirchen angeschlossenen Vereine der Frauenhülfe beträgt 25, die von 1868 bis 1908 gegründet sind und zur Zeit 4 000 Mitglieder haben.“
Weiter heißt es:
„Ihren Höhepunkt erreichte die Tagung in der biblischen Ansprache, welche Frau Kreisschulinspektor Hoffmann aus Bochum zu übernehmen die große Freundlichkeit hatte. Die Vortragende führte einleitend in den Kampf um die christliche Lebensanschauung hinein, in den auch die Frauen unserer Zeit gestellt sind, um in Maria Magdalenas ergreifender Gestalt am Ostermorgen ein sieghaftes Frauenleben mit seinem Suchen und Weinen, Finden und Verkünden nach Joh. 2o,11-18 zu zeichnen. Ihr Appell an die evangelische Frau zur Betätigung des Glaubens in der Liebe an der ihnen anvertrauten Familienmitglieder, sonderlich der Hinweis darauf, dass die Frau es zumeist verschulde, wenn ihr Mann Bahnen des Unglaubens oder unklaren Sektenwesens und nicht gesunden kirchlich-evangelischen Glaubens wandle, machte sichtlich tiefen Eindruck. Im Blick auf Weihnachten war die am Schlusse ausgesprochene Bitte wohl berechtigt, auf Schonung der Ladnerinnen bedacht zu sein, auf frühzeitiges Besorgen der Einkäufe, da sonst die Angestellten der Geschäfte genötigt sind, oft bis zur dritten Morgenstunde hin die Vorkehrungen für den neuen Tag zu treffen. Reicher Beifall lohnte die Rednerin, die trotz zweimaligen Erlöschens der elektrischen Beleuchtung die Zuhörerinnen so zu fesseln verstand, dass während der Dunkelheit die Ruhe völlig gewahrt blieb.“
1910 gründete Pfarrer Otto Schumacher aus Bismarck, der leitender Pfarrer des Stadtverbands war, mit Frauen aus allen Gemeinden die „Evangelische Fürsorge der Frauenhilfe. Dazu heißt es: „Die finanzielle Grundlage dafür waren Sammelbüchsen in allen Geschäften ( evangelischen und katholischen) für die „Gefährdetenfürsorge der weiblichen Jugend“. Ab 1920 galt die Fürsorge auch der männlichen Jugend.
Die evangelische Fürsorge ist seit 1918 mit Frl. Wilms als ehrenamtliche Fürsorgerin für die Frauenhilfe in der Bismarckstraße 123 zuständig. 1924 sind 2% des kirchlichen Steueraufkommens für die Arbeit der evangelischen Fürsorge der Frauenhilfe eingeplant, das Protokoll berichtet, „aber nicht alle Gemeinden kommen ihren Verpflichtungen nach.“
Von der Gemeinde Rotthausen wissen wir, dass die Frauenhilfe die einzige Gruppe war, die über den Umbruch 1918 hinweg kontinuierlich weiter wuchs. 1924, beim Stand von 1.439 Mitgliedern, beschloss man auf der Jahreshauptversammlung in Rotthausen, fortan keine Frauen über 50 Jahre mehr aufzunehmen. Es traten nämlich zunehmend Mädchen direkt vom Mädchenjugendkreis in die Frauenhilfe ein.
1927 wird das ehemalige Knappschaftsgebäude im Wiehagen 26 von der Evangelischen Fürsorge gekauft und umgebaut. Ab 1928 hieß es „Vorasyl“, dann „Mütter- und Säuglingsheim“. Hier wurde von vielen Mädchen Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre Sonntagsdienst angeboten. Durch einen Handarbeitsverkauf aller Frauen des Stadtverbands konnten 5.000 Mark für das Heim gespendet werden. Vorsitzende des Mütter- und Säuglingsheimes Heimes war Frau Pfarrer Schmidt (Bulmke):
Ziel der Arbeit des Heimes waren Hilfen für Kinder unter 5 Jahren, unverheiratete Mütter, berufsschwache Mädchen und in Not geratenen Frauen.
Dann erfolgte die Umbenennung in „Evangelischer Gemeindedienst“, 1946 der Anbau einer Säuglingsstation. 1952 erwarb man das Haus Wilhelminenstraße 125, heute Kinderheim Schlosserstraße. 1955 erfolgte die Übernahme durch den Kirchenkreis mit dem neuen Namen „Synodaldienst für innere Mission“ sowie die Gründung des Evangelischen Heimvereins e. V. 1957 wurde auch das Haus Bokermühlstraße 26 neben dem Haus des CVJM gekauft (Soweit die Entwicklung des Heimvereins aus Frauenhilfe-Sicht).
Zurück in das Jahr 1910. Die Frauenhilfe schickt ein Gesuch nach Berlin an die Kaiserin mit der Bitte um eine Auszeichnung für eine verdiente Frauenhilfe-Leiterin:
Das „Kabinett Ihrer Majestät, der Kaiserin und Königin" antwortet abschlägig:
Beim ersten Jahresfest ging es um die Fürsorge an jungen Mädchen und Frauen. Erwähnt wurden auch die Erholungsmaßnahmen für Kinder, die durch die Vermittlung der Frauenhilfe für mehrere Wochen aufs Land, z. B. nach Bad Sassendorf, Tecklenburg und nach Minden-Ravensburg kamen:
Achten Sie auf den Zeitrahmen, der für die Zusammenkunft notwendig war: Beginn 14 Uhr, das Ende war gegen 19 Uhr - unsere Vorgängerinnen mussten schon ganz schön fit sein:
Es sind, wie schon gehört, 25 Frauenhilfsgruppen mit 4.000 Mitgliedern, die den Stadtverband bilden.
Erwähnt wird das 40. Jahresfest der Frauenhilfe in der Altstadt - also 1870 gegründet - mit nun 220 Mitgliedern.
In den folgenden Jahren ist die Not der Kinder immer wieder Thema. Der Stadtverband Gelsenkirchen trifft mit dem Kreisverband Minden ein Abkommen, wonach Kinder aus Gelsenkirchen unentgeltlich zur Erholung nach Minden geschickt werden können. 132 Kinder nehmen 1913 an den Maßnahmen teil. Es wird berichtet, dass die Kinder teilweise 12 bis 24 Pfund zugenommen haben. Es wird auch berichtet, dass Frauenhilfen um 20, 30, ja bis zu 50 % wachsen und jede Kirchengemeinde mindestens eine Frauenhilfe hat, mehrere Gemeinden haben auch schon drei Gruppen.
1913 wird auch auf Vorschlag des vorsitzenden Pfarrers ein Huldigungstelegramm an „Ihre Majestät die Kaiserin, unsere erhabenen Protektorin“, gesandt. Die Antwort aus dem Kabinett am 14.6.1913 lautete:
„Ihre Majestät die Kaiserin und Königin haben mich beauftragt, den Mitgliedern des Kreisverbandes der Frauenhilfe in Gelsenkirchen für die aus Anlass der 5. Jahresversammlung vom 11. d. Monats übersandten Glückwünsche allerhöchst Ihren freundlichen Dank auszusprechen“.
Unterschrift
Der Stadtverband in Gelsenkirchen gründet und betreibt auch die Bahnhofsmission bis weit nach dem 2. Weltkrieg.
1914 begann der 1. Weltkrieg, der natürlich auch seinen Schatten auf die Arbeit der Frauenhilfe warf. Auch die Frauenhilfe musste mithelfen. Abgefragt wurden Hilfen für die Gemeinde, Arbeiten für das Heer und die Fürsorge für Ostpreußen.
Zum Beispiel: Arbeit für das Heer (Antwort auf dem Fragebogen)
1000 Paar Strümpfe für das Generalkommando des 7. Armeekorps geliefert. 750 Paar davon von der Frauenhilfe- Neustadt:
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Zum Beispiel: Hilfen für die Gemeinden: Die Frauenhilfe schickte in den Kriegsjahren 4.400 Kinder für vier Monate aufs Land, nach Pommern, Hessen und Westfalen. Als Entlastung für „arbeitswillige Mütter“ wurden von Stadt, Industrie und Frauenhilfe in verschiedenen Stadtteilen zwölf Horte gegründet, in denen 600 Kinder ganztägig betreut werden konnten, damit die Mütter die Arbeit der an der Front sich befindenden Männer tun konnten.
Nach dem 1. Weltkrieg wird der Stadtverband Gelsenkirchen ein eingetragener Verein. Warum?
Endlich scheint sich der Wunsch des Stadtverbandes nach einem Heim für Frauen und Mädchen zu verwirklichen, der ja schon ganz zu Beginn der Tätigkeit des Stadtverbandes gestanden hatte.
Bei Langenberg im Bergischen Land wird ein Hof gefunden und gekauft:
50 Morgen Land und 24 Morgen Wald gehören dazu. Der Kaufpreis beträgt 50.000 Mark, der Umbau kostet 35.000 Mark und 10.000 Mark werden für die Einrichtung benötigt. Zum lebenden Inventar gehören zwei Pferde, zwei Kühe, zwei Zuchtkälber, zwei Schweine, einige Schafe und Geflügel.
Zunächst wurde das Haus als Kindererholungsheim genutzt und dann als Frauenerholungsheim eingerichtet. Nun konnten Gelsenkirchener Frauenhilfen Jahr für Jahr mehrere Frauen ihrer Gruppe für 14 Tage zur Erholung schicken. Das war für die Frauen in einer Zeit, in der Urlaub oder gar „in Urlaub fahren", besonders für Arbeiterfrauen und Mütter nahezu unerreichbar erscheinen musste, etwas ganz Besonderes und sehr Hilfreiches.
Damit begann natürlich für den Stadtverband eine Zeitspanne von nahezu 80 Jahren, in denen die Sorge um und die Freude an dem Haus vorherrschten, (hier Ansichten aus den Jahren 1926 und 1934):
In diesen Jahren nahmen aber auch die finanziellen Probleme und ihre Lösung so manche Stunde bei Vorstandssitzungen in Anspruch, wie man dem Jahresbericht 1920 entnehmen kann:
Die Beitragsabrechnungen des Stadtverbandes der Frauenhilfe gingen an den „Provinzialverband“, wie sie auch heute noch zum Landesverband nach Soest gehen:
Am 1. April 1930 wird die in Bielefeld arbeitende Wohlfahrtsschule der Westfälischen Frauenhilfe wegen der beengten Verhältnisse nach Gelsenkirchen in die Knappstraße 2 ( Im Prospekt der Schule steht Knappschaftsstraße 4 ) verlegt.
In der Evangelischen Wohlfahrtsschule der Westfälischen Frauenhilfe in Gelsenkirchen sollen Wohlfahrtspflegerinnen ausgebildet werden, die in Gelsenkirchen dringend benötigt wurden. Es wird die Möglichkeit gesehen, mit den industriellen Werken engen Kontakt zu halten und die Erfahrungen der Industriegesellschaft für die Ausbildung der Schülerinnen zu nutzen. Die Leitung der Schule wird Frau Dr. Margarete Cordemann übertragen. Aus dieser Wohlfahrtsschule wird später die Sozialfachschule, die Keimzelle der Abteilung Sozialwissenschaften an der späteren Universität Bochum.
Von 1933 haben wir noch eine Einladung zur Vorstände- und Bezirksfrauen-Tagung:
1935 gibt es einen tiefen Einschnitt in der Leitung des Stadtverbandes. Sie erinnern sich an Bild des Ehepaars Schmidt! Es gilt, Abschied zunehmen von der Frau, die die letzten zehn Jahre den Stadtverband geleitet hat. Pfr. Schmidt tritt in den Ruhestand und verlässt mit seiner Frau Gelsenkirchen. Frieda Schmidt hat "weibliche Vereine" gegründet: Missions-Nähverein, Jungfrauenverein, Frauenhilfe Bulmke–Nord. Sie hat die Bahnhofsmission ins Leben gerufen und im Fürsorgeverein mitgearbeitet. Sie hat das Säuglings- und Mädchenheim mit gegründet und war im Vorstand des evangelisch-kirchlichen Jugendamtes. Ebenso war sie bei der Gründung des Stadtverbandes dabei, erst als Schriftführerin, dann als Vorsitzende. Sie gehörte dem Provinzialvorstand in Soest an und war fünf Jahre im engeren Vorstand in Soest. Ihre ganz besondere Fürsorge widmete sie dem Erholungsheim in Windrath.
Nachfolgerin von Frau Schmidt, deren Bild auch als Erinnerung an die Vorgängerinnen in Windrath hing, war Frau Leni Kluge. Über die Rede des vorsitzenden Pfarrers Johanneswerth aus Soest steht in den Unterlagen:
... Worte der Aufmunterung und des Vertrauens an die junge Nachfolgerin und jetzige erste Vorsitzende, Frau Pastor Kluge, [...] die „mit der Verantwortung auch die Kraft finden werde, die Arbeit weiter zu tragen, im Erinnern an das alte Wort 'diese haben es gekonnt, auch jene, warum soll ich es nicht können!' Mit Selbstvertrauen, Gottvertrauen und dem Mut der Jugend möge sie gleich dem Vorbild ihren Weg gehen: Jedermann tue seine Pflicht".
Es folgt die Zeit des Nationalsozialismus und der 2. Weltkrieg. Aus dieser Zeit und bis 1947 sind keine Unterlagen erhalten.
Erst 1947 findet sich eine Notiz:
„Pfarrer Meyer war 25 Jahre in der Kirchengemeinde Rotthausen tätig. Besondere Förderung durch den Jubilar erfuhr die Arbeit der Frauenhilfe und die Kirchenmusik. Beim Wiederaufbau des Frauenerholungsheimes in Windrath bei Langenberg, das im Kriege zerstört worden war, wirkte er tatkräftig mit.“
Die Nachkriegszeit und der Wiederaufbau fordern unendlich viel Kraft, Organisation und Stärke.
Aus derselben Quelle (Stadt-Chronik) 1953: Die evangelische Kreissynode bewilligt einen namhaften Zuschuss für Windrath.
Dies geschah auch 1954.
Das Müttererholungsheim Windrath, das an die Stelle des im Jahre 1943 durch Brandbomben zerstörten Heimes trat, wurde durch Superintendent Kluge feierlich eingeweiht. Mit besonderer Dankbarkeit wurde der aufopferungsvollen Mitwirkung von Frau Pfr. Meyer (Rotthausen):
und Frau Superintendent Kluge (Feldmark) gedacht.
Von der Frauenhilfe Altstadt unter der Leitung von Pfr. Hinnenthal wurde im Jahre 1954 über Pfingsten die erste Müttererholungskur angeboten. 24 Frauen konnten sich für 78 DM - Fahrt und Trinkgeld waren enthalten - 14 Tage lang erholen.
Hier ist die Maikur von 1955 mit Frau Pölkner zu sehen:
1955 hat die Frauenhilfe Decken gehäkelt: Für Windrath und für die Osthilfe, und im selben Jahr gewährte die Synode dem Stadtverband für sein Bauvorhaben in Windrath einen Baukostenzuschuss.
In den Protokollen nach dem Krieg werden die unendlichen Geldschwierigkeiten deutlich, in denen sich der Stadtverband wegen Windrath befand. Es war fatal, dass eine Brandbombe das Haus traf, aber schlimmer war, dass alles, was nicht verbrannte, auch noch gestohlen wurde.
Ab 1956 begannen auch die „Rüsttage“ wieder, die heute „Jahresthema-Tagung“ heißen:
und die heute, als "Rüsttage neuerer Zeit", so aussehen:
1958 steht im Protokoll, dass Frau Kluge seit 23 Jahren regelmäßig die Konferenzen in Soest besucht. Ab 1958 wird eine Mütterschulung angeboten, in erster Linie für die alleinstehende Frauen (Witwen oder Frauen, deren Männer in Kriegsgefangenschaft sind oder vermisst werden). Unterrichtsschwerpunkte sind Hauspflege, Säuglingspflege und Erziehungsfragen. Gleichzeitig wird verstärkt in Abendkreise eingeladen, da die Mütter tagsüber arbeiten müssen.
Die Themen in den Veranstaltungen des Stadtverbandes in diesen Jahren sind geprägt vom Kriegsende und den Auswirkungen auf die Menschen. So z. B.: Erziehung in einer Zeit, in der Väter gefallen, in Gefangenschaft geraten oder vermisst waren, Eheberatung, Flüchtlingselend, um nur einige Schwerpunkte zu nennen. Die Frauenhilfen versuchen, die Probleme zu benennen und Hilfen anzubieten.
Die Zeche Graf Bismarck hat der Inneren Mission ihre eingerichtete Mütterschule in Erle angeboten, mit Nähmaschinen, Schulküche usw. Auf Entgelt für Miete, Heizung, Strom wird verzichtet. Dadurch können zusätzlich zwei evangelische Fürsorgerinnen übernommen werden. Die übrigen Kosten teilen sich der Stadtverband Gelsenkirchen und der Stadtverband Buer-Horst. Alle Frauenhilfsmitglieder zahlen dafür ab 1960 zum Monatsbeitrag 10 Pfennig extra.
In den 60er Jahren geht der Blick auch über die Grenzen hinaus: Der Weltgebetstag wird gefeiert. Die Rassentrennung in Südafrika, Menschenfresser in Sumatra sind Themen, die uns über Gelsenkirchen hinaus blicken, die Welt in den Blick rücken und offen sein lassen für die Probleme der anderen.
Den Stadtverband selbst beschäftigen u. a. das Thema der unerwünschten Schwangerschaften bei Mädchen zwischen 12 und15, das Thema Verhütung, und das Thema „uneheliche Kinder“. Fürsorgerinnen heißen ab 1968 Sozialarbeiterinnen. Nicht „für“ jemanden sorgen, sondern miteinander arbeiten und sozial denken ist das neue Konzept.
Die 70er Jahre sind geprägt von finanziellen Problemen rund um Windrath. Die Frauenhilfe sammelt eifrig bei den Sammlungen des Müttergenesungswerkes mit Büchsen auf der Straße, verkauft Blümchen und sammelt mit Listen in den Häusern. Der Lohn für diese Mühe soll sein: Die Hälfte der Sammlung kommt Windrath zugute. Die Frauenhilfen sammeln auch für das Gustav-Adolf-Werk, um evangelischen Mitchristen das Leben in der Diaspora zu erleichtern und natürlich auch für die innere Mission, die Diakonie.
Aber: Diese Zuschüsse von der Sammlung des Müttergenesungswerkes ließen auf sich warten, während die Gelder für einen Um - oder Anbau und fließendes Wasser in den Zimmern dringend gebraucht wurden.
1972 wurden Spenden in Höhe von 15.000 DM gesammelt. Diese reichte aber vorne und hinten nicht aus.
Um die Kuren für die Müttererholung - fünf pro Jahr - durchführen zu können, wurden ehrenamtliche Helferinnen gesucht. Die Lage ist prekär. Die Leiterinnen der Frauenhilfe sind damit einverstanden, dass der Vorstand des Stadtverbandes auf die Synode zugeht, um die Trägerschaft für Windrath innerhalb der Synode zu erweitern. Dies bedeutet, dass sich der Kirchenkreis auch finanziell in Windrath engagieren soll.
Am 1.10.1974 - vor 35 Jahren also - übernimmt der Kirchenkreis Gelsenkirchen das Haus Windrath. Windrath heißt nun „Bildungs- und Begegnungsstätte“ und wird mit einem Kostenaufwand von 600.000 DM ausgebaut. Hier eine Luftaufnahme nach dem Bau der Scheune:
und ein Eindruck von der Sonnenseite in Haus Windrath:
Die Frauenhilfe darf weiter das Haus belegen, verwaltet wird es nun vom Kirchenkreis, der etwas später auch ein Kuratorium beruft:
1975 tritt Frau Bähr als Leiterin von Windrath ihre Stelle an.
Themen im Stadtverband sind immer noch Familiensituationen und Erziehung, aber auch über Arbeitsmarkt, Gastarbeiter und Gemeinde im Wandel wird diskutiert.
Jahresthemen-Tagungen 1988 und 1999 in der Feldmark:
1976 wird unter Leitung von Herrn Pfr. Born, der seit 1971 Pfarrer des Stadtverbandes ist, auf der Sitzung aller Vorstände der einzelnen Frauenhilfen ein neuer Vorstand gewählt, neue Vorsitzende wird Frau Sellmayer.
1982 wird Frau Kluge nach 50-jähriger Tätigkeit im Stadtverband Gelsenkirchen und in Windrath verabschiedet.
Beitragsliste 1984 des Stadtverbandes Gelsenkirchen:
1985 gibt es in Gelsenkirchen 26 Frauenhilfen mit 3.122 Mitgliedern. Liste der Leiterinnen:
Auf einer Stadtverbandssitzung 1987 wird ein „gewichtiger“ Beschluss gefasst: Es wird mit Mehrheit beschlossen, in Zukunft nur noch ein Stück Kuchen bei Veranstaltungen anzubieten.
Im Jahr 1989 macht der Stadtverband Angaben über die Altersstruktur in Gelsenkirchen.
Auf dem Formular sind drei Rubriken, die wie folgt ausgefüllt wurden:
25 – 40 Jahre | 40 – 60 Jahre | älter |
50 Frauen | 508 Frauen | 2.200 Frauen |
Auf der Bahnhofstraße und im Bildungszentrum werden deshalb Werbeaktionen gestartet, um die Frauenhilfen mehr in den Blick der Öffentlichkeit zu rücken und neue Mitglieder zu werben:
In den 90er Jahren wurde über Armut von Frauen und Kindern, § 218, Frauenhäuser, Kindesmissbrauch, Sextourismus, Schuldnerberatung, Islam gesprochen, diskutiert und nach Lösungen gesucht. Das neue Gesangbuch erscheint. Auch damit hatten wir uns beschäftigt.
Das erste Treffen der drei Stadtverbände Gelsenkirchen, Buer-Horst und Wattenscheid fand unter dem Titel: „Evas Töchter" statt.
Die erste Zusammenlegung von Frauenhilfen geschah in Schalke.
In Windrath lief der Betrieb mit den Freizeiten und Belegungen wie gewohnt, allerdings stellte sich zunehmend heraus, dass die Gruppen immer kleiner wurden und so die Belegungszahlen abnahmen. Der Zuschuss des Kirchenkreises musste immer höher angesetzt werden, trotzdem sollte durch größere Umbaumaßnahmen Attraktivität und Auslastung des Hauses gesteigert werden.
1996 wurden Frau Sellmayer und Pfarrer Born in Windrath nach vielen Jahren im Vorstand des Stadtverband verabschiedet. Pfarrer Dohm wurde neuer Frauenhilfs-Pfarrer, die Stelle der Vorsitzenden blieb vakant:
Anfang 1999 nehmen die Pläne für eine Schließung von Windrath Formen an. Im September stellt die Frauenhilfe nach Rücksprache mit den Leiterinnen fest, dass es auch von seiten des Stadtverbandes keine Möglichkeiten der Hilfe für Windrath gibt. Damit ist die Schließung des Hauses besiegelt.
Im November 1999 hat der Stadtverband eine neue Vorsitzende, Karla Böhm.
Seit 2000 ist das Haus in Windrath geschlossen, natürlich trauern sowohl die Frauenhilfe als auch der Stadtverband um das Haus, das allen ans Herz gewachsen war und einfach zu unserer Arbeit gehörte. Der letzte Prospekt des Hauses sah wie folgt aus:
Der Stadtverband muss neue Möglichkeiten suchen und finden, wo z. B. die Arbeit am Jahresthema fortgesetzt werden kann. Ebenso muss eine Bleibe für die Leiterinnentage gefunden werden. Der Stadtverband versucht, die Erholungsarbeit durch Freizeiten in Bad Westernkotten durchzuführen, aber auch das gelingt nur für ein paar Jahre.
Die letzten zehn Jahre haben Spuren in der Arbeit des Stadtverbands hinterlassen. Die Auswirkungen der strukturellen Veränderungen in den Gemeinden (Schließung von Gemeindehäusern, geringere Anzahl von Pfarrern, Frauenhilfszusammenlegungen) haben zur Folge, dass der Stadtverband Seminare wie „Kirche 2000“ , „Andachten gestalten“ und „Gruppen leiten“ anbietet, als Hilfe für Leiterinnen, die in zunehmendem Maße alleine für die Frauenhilfen verantwortlich sind. Anregungen für Gruppenstunden sind auch unsere Besuche an „heiligen Stätten“.
Eine einmalige Aktion war der Handy-Führerschein, den etliche Leiterinnen 2003 gemacht haben, die keine Scheu vor der neuen Technik hatten. Da konnten die Enkel staunen: eine SMS von Oma!
Mehrere Male hatten wir im Stadtverband Gäste aus unserem Partner-Kirchenkreis in Afrika, aus Morogoro. Wir hörten von dem Leben der Frauen, vom Leben in den Familien, Gemeinden und auch von gesellschaftlichen Umbrüchen, wie z. B. nach dem Regierungswechsel vor einigen Jahren in Tansania, als die Schulgeldfreiheit abgeschafft wurde und nun plötzlich Geld für Bildung ausgegeben werden musste. Da Geld kaum vorhanden war, wurde in erster Linie den Jungen der Schulbesuch ermöglicht. Durch viele Weltgebetstags-Gottesdienste wissen wir aber, wie wichtig es ist, dass auch Mädchen die Schule besuchen und so eine Möglichkeit bekommen, später ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ein ostafrikanisches Sprichwort besagt: „Bildung ist der Lebensschlüssel.“
Wir beteiligen uns intensiv an der Kampagne für „saubere Kleidung“.
Die neue Justizvollzugsanstalt in Heßler veranlasst, dass wir uns mit der Situation der inhaftierten Frauen beschäftigen und nun schon seit einigen Jahren zu Weihnachten Pakete für ganz alleinstehende inhaftierte Frauen packen, eine Arbeit, die nur durch Spenden der Orts-Frauenhilfen möglich ist.
2004 scheidet Pfarrer Dohm aus dem Vorstand aus, weil sein Ruhestand naht. Nachfolger wird Pfarrer Deka aus Bismarck–Haverkamp.
Erst im April 2005 wird Windrath verkauft. Damit sind 90 Jahre Windrath Geschichte.
Aber die Geschichte der Frauenhilfe geht immer noch weiter:
2007/2008 besucht der Vorstand eine große Anzahl von Frauenhilfen, um sich ein genaueres Bild der Situation in den Frauenhilfen zu machen. Wir finden Gruppen vor, größere oder kleinere, mit älteren oder etwas jüngeren Frauen, die ihre Zugehörigkeit zur Frauenhilfe wertschätzen, die interessiert sind und Fragen haben. Wir treffen liebevoll engagierte und fröhliche Leiterinnen, die uns, ihre Gruppe im Blick, kompetent durch den Nachmittag führen.
Wir sammeln immer noch für das Müttergenesungswerk, das Gustav-Adolf-Werk, wir feiern immer noch den Weltgebetstag der Frauen, jedes Jahr am 1. Freitag im März in allen Gemeinden.
Wir feiern seit einigen Jahren im Januar einen Bezirksfrauen-Gottesdienst und in jedem zweiten Jahr einen Ehrenamts-Gottesdienst mit Einführung neuer Mitarbeiterinnen und der Verabschiedung der Ausgeschiedenen.
Weiterbildung findet statt, in Form von Bezirksfrauen–Nachmittagen, Leiterinnen–Treffen und Jahresthemen-Tagungen
Wir sind Mitglied in den Arbeitsgemeinschaften der Verbraucher und der AG der Gelsenkirchener Frauenverbände.
Im Jahr 2009 haben wir uns über das 100-jährige Jubiläum gefreut: Wir haben von bedeutenden Frauen in Gelsenkirchen gehört und wir waren dem Glück auf der Spur: